Dass in einer Konzertbesprechung das zugehörige Konzertplakat explizit erwähnt wird oder gar der Grafiker, der es gestaltet hat, das geschieht nicht oft. Konzertplakate sind und gelten in der Regel nur als kommunikative Begleitmaßnahmen, sie kündigen das jeweilige Ereignis an, aber sie versuchen meist erst gar nicht, durch eine adäquate Eigenleistung dem musikalischen Ereignis ein künstlerisches Äquivalent an die Seite zu stellen. Die einfallslosen Typografiewüsten fast aller Konzertplakate, die in deutschen Großstädten hängen, belegen das eindrücklich. Unzählige Schriften in unzähligen Größen, unübersichtlich angeordnet, unstrukturiert, allenfalls mit einem blassen Bild eines Komponisten oder einer Kirche hinterlegt oder mit einem klischeehaften Standardbildmotiv aufgehübscht – so zieren sie landauf-landab die Plakatständer und die Litfasssäulen oder die Schaufenster der Kulturämter, und man wundert sich nicht, dass die Besucherzahlen in vielen Konzertreihen seit langem rückläufig sind. Was so lustlos angekündigt wird, wie die amtliche Bekanntmachung einer Gemeindeverwaltung, das erweckt kaum das Interesse eines kunstinteressierten Publikums.
Ganz anders, wenn ein Veranstaltungsplakat nicht nur ankündigt und den Sachverhalt eines Ereignisses im Verlautbarungsstil mitteilt, sondern aktiv in eigenschöpferischer Weise die Veranstaltung bewirbt und potentielle Besucher auf das Ereignis aufmerksam macht – mit einem markanten Eyecatcher, mit einer großzügigen Gestaltung, durch die sich das Plakat von der Umgebung abhebt, mit einer klaren Strukturierung der notwendigen Angaben und Textinformationen. Das ist die Aufgabe des Gestalters, diesen Anspruch sollte man an jedes Veranstaltungsplakat anlegen.
Mit diesem Anspruch gestalte ich selbst seit vielen Jahren Konzertplakate, und die Resonanz zeigt, dass der Versuch einer eigenständigen gestalterischen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Inhalt oder Thema der Konzertveranstaltung durchaus lohnt. So kommt es, dass immer wieder in entsprechenden Konzertbesprechungen nicht nur das Werk und die Aufführenden erwähnt werden, sondern auch das jeweils zugehörige Plakat. Das war bereits bei meinem ersten Konzertplakat vor 28 Jahren so, als ich 1991 zu Dvoraks „Stabat Mater“ das Unfassbare im Blick der Gottesmutter unter dem Kreuz als Bildmotiv wählte, worauf eine Rezensentin im Konstanzer SÜDKURIER schrieb: „Obwohl in Konzertbesprechungen nicht üblich, soll an dieser Stelle doch noch der Grafiker Günter Ludwig erwähnt werden, der mit der Gestaltung der ungewöhnlich ausdrucksvollen Plakate einen künstlerischen Beitrag geleistet hat, dem mittelalterlichen Text mit seinem überzeitlichen Gehalt eine Bezugsmöglichkeit in der Gegenwart zuzuordnen.“ Und im Hinblick auf mein aktuelles Plakat zu einer Aufführung von Bachs Matthäuspassion, auf dem ich drei große, blutverschmierte Nägel positioniert habe, heißt es unter der Headline „Drei Nägel für ein Halleluja“ in einer Vorabbesprechung des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTS aus Tübingen: „Mit Leidensbildern warb in den Neunziger Jahren der italienische Modefotograf Oliviero Toscanini für die Firma Benetton. In Toscaninis Tradition steht das Bildmotiv von Günter Ludwig.“
Wenn Werbung für eine Konzertveranstaltung auf diese Weise in der Tagespresse Erwähnung findet und also Aufmerksamkeit erregt, dann ist die eigentliche Aufgabe des Grafikdesigners erfüllt – dann kann die musikalische Darbietung nicht nur zum künstlerischen Ereignis werden, sondern auch zum nachhaltigen Publikumserfolg.
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